Racheakt vorläufiges Zeugnis? In unserer Beratungspraxis haben wir gelegentlich den Eindruck, dass das Arbeitszeugnis eher als wütende Abrechnung, denn als wohlwollende und Leistungsbewertung eingesetzt wird.
Das Problem des vorläufigen Zeugnisses mit der Überschrift "Zwischenzeugnis" ist darin zu sehen, dass es weitaus verbindlicher ist.
Praxisbeispiel: Vorläufiges Zeugnis + Aufhebungsvertrag
Jens Möller hat sehr engagiert fünf Jahre lang für einen mittelständischen Maschinenbauer als Leiter Einkauf und Logistik gearbeitet. Nun fusionierte das Unternehmen mit einem Mitbewerber. In der Folge werden Stellen abgebaut.
Der langjährig erfolgreich tätigen Führungskraft wurde ein Aufhebungsvertrag einschließlich Abfindung, Freistellung und "vorläufigem Zeugnis" für die anstehende Jobsuche angeboten.
Dieses Angebot nimmt Jens Möller an.
Zeugnispraxis: Das reklamiere ich später? Eine Woche später bekommt er sein vorläufiges Zeugnis. Bei einer schnellen Durchsicht entdeckt er einige Fehler in der Aufgabenbeschreibung und ärgert sich über mehrere Formulierungen in der vorläufigen Bewertung. Er ist eigentlich nicht einverstanden, weil
Gegenmaßnahmen ergreift er aber nicht, weil er hofft, dass sich die strittigen Punkte bei der Erstellung des noch ausstehenden Endzeugnisses sicherlich regeln lassen werden.
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Was ist ein vorläufiges Arbeitszeugnis?
Definition: Ein vorläufiges Zeugnis wird ausgestellt, wenn ein Arbeitsverhältnis fast vollständig beendet ist. Ebenso wie ein Zwischenzeugnis wird es in der Zeitform Präsens/Gegenwart formuliert und daher häufig mit diesem verwechselt. Allerdings wird der Inhalt des vorläufiges Zeugnisses eigentlich immer ohne weitere Änderungen in ein Endzeugnis überführt.
Mittels Aufhebungsvertrag oder Kündigung freigestellte Arbeitnehmer erbringen ja keine weiteren Leistungen mehr, die noch Änderungen im Zeungnisinhalt begründen. Nur die Zeitform (Präteritum/Vergangenheit) wird noch angepasst.
Daher sollte ein vorläufiges Zeugnis immer sehr gründlich überpüft werden, bevor ehemalige Mitarbeiter es vollumfänglich akzeptieren.
Grundsätzlich unterscheiden lassen sich
das klassische Arbeitszeugnis (Endzeugnis),
das klassische Zwischenzeugnis (Vorgesetztenwechsel, Beförderung, Elternzeit und weitere Anspruchsgründe) und
das hier näher beleuchtete vorläufige Arbeitszeugnis (Aufhebungsvertrag, Freistellung, fristgerechte Kündigung mit längerer Kündigungsfrist).
Vorsicht: Fakten werden geschaffenIn unserer Beratungspraxis erleben wir häufiger, dass dem vorläufigen Arbeitszeugnis deutlich zu wenig Beachtung geschenkt wird. Regelmäßig sind freigestellte Leistungsträger oder Fachspezialisten oft nur froh, dem nervigen Arbeitsalltag für einige Monate entkommen zu sein. |
Die Belastung durch Überstunden, fordernde Projekte, Reisetätigkeit und Auslandseinsätze war oft so hoch, dass die Freistellungsphase quasi als "verdienter mehrmonatiger Erholungsurlaub" verstanden wird.
Diese Einschätzung ist sicherlich nachvollziehbar.
Gefährlich: Zeugnis aus Bequemlichkeit akzeptiert
Allerdings sollte ein in dieser Zeit übermitteltes fehlerhaftes Arbeitszeugnis mit der Überschrift "Zwischenzeugnis" nicht fälschlicherweise einfach hingenommen und aus gefährlicher Bequemlichkeit wortlos akzeptiert werden.
Vorläufiges Zeugnis: Fehler
wesentliche Arbeitsaufgaben, Tätigkeiten oder Verantwortungsbereiche fehlen
auf besondere Leistungen und Erfolge wird überhaupt nicht eingegangen
einzelne Formulierungen sind missverständlich oder sogar abwertend formuliert worden
die Gesamtnote erscheint merkwürdig
die bei Führungskräften unverzichtbare Führungsleistung wird eher dürftig beschrieben
Vorläufiges Zeugnis entfaltet sofort Wirkung
Schon so mancher ehemalige Arbeitnehmer hat zu Unrecht darauf vertraut, dass sich die Merkwürdigkeiten oder sogar Mängel in dem seiner Meinung nach nur vorläufig erstellen Zeugnis zu einem späteren Zeitpunkt noch beheben lassen.
Keine Erinnerung
Je mehr Zeit aber ins Land geht, desto schwächer werden bei ehemaligen Vorgesetzten die Erinnerungen an die seinerzeit engagierte, ergebnisorientierte und erfolgreiche Mitarbeit des Beurteilten Ex-Kollegen.
Streit nimmt zu
Auf Seiten des ehemaligen Arbeitgebers sinkt die Bereitschaft, auf Änderungswünsche einzugehen deutlich, wenn das Arbeitsverhältnis gegen Ende vorwiegend durch Reibereien, Streitigkeiten und Auseinandersetzungen geprägt ist.
Was durchaus häufig der Realität entspricht.
Ausgeschlossen
Immer wieder zu beoachten ist, dass vormals geschätzte Mitarbeiter ihr internes Netzwerk im Betrieb nach einer Kündigung mit Freistellung oder einem Aufhebungsvertrag sehr schnell komplett verlieren.
Im Arbeitsalltag unterstützt man sich idealerweise gegenseitig bei unangenehmen oder zeitlich fordernden Aufgaben. Aber was kann ein freigestellter Ex-Mitarbeiter für seine Kollegen jetzt noch leisten?
JETZT Einfluss nehmen, trotz vorläufiger Beurteilung
Wer die zu Bewerbungszwecken übermittelte vorläufige Beurteilung ohne Gegenreaktion akzeptiert, wird es deutlich schwerer haben, zu einem späteren Zeitpunkt noch Wünsche am Endzeugnis durchzusetzen.
Schließlich schaffen Arbeitgeber mit dem vorläufigen Zeugnis Fakten, denen oft schleunigst entgegengewirkt werden sollte.
Anwalt?
Hier hilft unter Umständen nur der Weg zum Experten für Arbeitsrecht, also einem Anwalt beziehungsweise Fachanwalt, was üblicherweise mit viel zeitlichem Aufwand und Nervenkrieg verbunden ist.
In einem ersten Schritt sollten Sie selbst aktiv werden und einen Gegenentwurf erstellen.
Expertentipp!
Änderungen einfordern: Auch wenn Sie sich gar nicht mit dem vorläufigen Arbeitszeugnis bewerben möchten, sollten Sie berechtigte Änderungen in jedem Fall einfordern.
Denn die Praxis zeigt, dass viele Arbeitgeber bereit sind, kurz und gut begründetete Änderungswünsche doch noch zu übernehmen.
Damit erhöhen Sie Ihre Chancen deutlich, letztendlich ein gutes Endzeugnis zu bekommen.
Praxistipp: Aktuelle Bewerbungen Bei laufenden Bewerbungen können Sie das momentan noch wenig überzeugende Zwischenzeugnis einfach weglassen. Schließlich gibt es keine Pflicht, Bewerbungen immer ein aktuelles Zwischenzeugnis beizufügen. |
Rest-Netzwerk im Unternehmen nutzen
Jetzt ist noch der Moment vorhanden, um die "Reste Ihres Netzwerkes" in der Firma zu nutzen.
Wenden Sie sich bei Zweifeln an der Qualität Ihres vorläufigen Zeugnisses an eventuell noch vorhandene Unterstützer im Unternehmen.
Legen Sie einen eigenen Entwurf vor, der Ihre überzeugenden Leistungen nachvollziehbar und aussagekräftig dokumentiert.
Sollte das Arbeitsverhältnis schon sehr belastet oder völlig zerrüttet sein, können Sie Ihre Änderungswünsche natürlich auch über einen Anwalt beziehungsweise eine Anwältin adressieren.
Bitten Sie Ihren Rechtsbeistand, dem anwaltlichen Schreiben ein überarbeitetes und verbessertes vorläufiges Zeugnis beizufügen.
Muster: vorläufiges ZeugnisNutzen Sie unsere bewährten digitalen Zeugnishelfer, um schneller zum "sehr guten" oder "guten" Zwischenzeugnis zu kommen.
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Christian Püttjer & Uwe Schnierda twitter: karrierecoaches
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